Über den Verhältnissen

 

 

Sehr einsam fühle ich mich in meiner Welt, wenn Frau Merkel Gegenstand hat mit ihrer Aussage, dass "Deutschland seit Jahrzehnten über seinen Verhältnissen" lebe und nicht etwa sei.

Mit Mühe nur kann ich finden, worin sich die Leute, die ich kenne schuldig machen könnten, über ihren Verhältnissen zu leben.

Berlin ist ein Armenhaus. OK, das passt nicht in eine deutschlandweit ausgestrahlte Botschaft rein. Die Ausnahme muss man sich hinzu denken oder abrechnen, um dennoch mit gemeint zu sein.

Berlin ist auf Rang Zwei, und teilt die dortigen Befindlichkeiten mit jedem zweiten Rang, der in  Vollendung üben darf, das, was nicht ist, sich zu denken.

Die Verhältnisse rücken in den Mittelpunkt der Analyse, und was da gleich zuerst aufsticht ist die Eventualität, sich oberhalb von Verhältnissen zu befinden.

Frau Merkel hat in der Tasche einen hochqualifizierten Abschluss in Physik. Soweit wie ich darin bewandert bin, sind dort die Szenerien, die sich oberhalb ihrer Verhältnisse abspielen noch immer Zukunftsmusik.

Wäre Deutschland ein Mensch, hätte man es um vieles einfacher. Wann lebt ein Mensch über seinen Verhältnissen. Mit dieser Frage lässt sich etwas anfangen.

Lebt ein Mensch über seinen Verhältnissen, wenn er den ganzen Tag vergeblich nach einem Ruhepunkt jagt und ihn erst findet, wenn er in der Schlange einer Suppenküche steht.

Von den Menschen, die ich kenne, lebt niemand oberhalb von Verhältnissen, die ihm die Zugehörigkeit an das von Frau Merkel umrissene Land garantieren könnten, oder, wer kein Geld hat, ist immer Ausländer.

Seit Jahrzehnten ist das so.

Wer ist Deutschland. Wer hat die Möglichkeit sich Levitationskräfte zu bedienen, die ihn oberhalb seiner Verhältnisse erscheinen lassen, um sich zu qualifizieren, ein schuldiger zwar, aber doch wenigstens ein Patriot zu sein.

Ich bin Deutscher. Überallem zu stehen ist nicht unmöglich. Nun sind es die Verhältnisse.

Wenn man aber nicht an Götter glaubt und verwandte Phänomene, dann sind die Verhältnisse dafür da, unsere Realität oder Auflösungsmöglichkeiten zu generieren.

Niemand kann über seinen Verhältnissen leben, da ihm die Verhältnisse alles bestimmen. Insbesondere das Verhalten.

Man kann sagen, in einem Verhältnis verschiebe sich etwas von links nach rechts oder dergleichen. Etwas nehme zu, nimmt Überhand, derweil ein anderes schwinde oder verschwinde.

Die richtigen Deutschen, oder diejenigen, die sich von Frau Merkel unter dem Deckel Deutschland aufgehoben fühlen dürfen, dürfen dies deswegen, weil sie über dem Strich gelebt haben, der zwischen den Beteiligten eines Verhältnisses möglich wird als Mittelpunkt oder Ausgleich zu setzen.

Ein Deutschland, das über seinen Verhältnissen gelebt haben könnte, lässt sich nach den Angaben von Frau Merkel nicht sogleich finden. Finden aber lassen sich noch immer Deutsche, die über dem Strich leben.

Was Aufklärung bringen wird über das auf Anhieb nicht identifizierbare Objekt, das sind die Schritte, mit denen ihm beizukommen versucht wird.

Gemein steht da zu prognostizieren, da abgehobenen Phänomen beizukommen mehr als ein Wagnis darstellt, die Kur werde versucht, wo es Irdischen möglich wie auch keine Rolle spielt, an jenen, die eh nicht mehr zum Bestand hinzuzurechnen sind.

Ein Gespenst kreist über Europa. Der Pleitegeier, der auch nicht über den Wolken lebt, sondern von Tabuzonen, die gewöhnlich im Jenseits unter dem Strich aufzuspüren sind.

1,7 Billionen zugegebene Schulden stehen sich über 10 Billionen angegebenen Vermögens gegenüber. Wäre doch gelacht wenn. Aber so lacht man nicht.

Der Charme der FDJ-Führerin verblasst. Die PISA-Primaner wollen an die Macht. Schwer vorzustellen, diese könnten einen andern Kurs einschlagen als den eingeübten, der sie möglich macht. Weiter im Takt, aber mit besseren Nöten.

Das löbliche Ziel, dass niemand mehr in Deutschland über seinen Verhältnisse lebe, wird es nicht dazu führen, dass ich und meine Welt sich über kurz oder lang weniger einsam fühlen.