Jungs

 

"Zeig mir eine Muschi und ich zeig dir einen angriffslustigen Marine." 

 

Jungs, was das ist, das entzieht sich einer Erfassung nach Einkommensklassen. Auch von einer sozialen Schicht kann man nicht sprechen.

"He Jungs, alle mal herkommen, es gibt etwas zu tun." Junge und alte Männer, reiche und arme fühlen sich gleichermaßen von diesem Lockruf angezogen.

Es genügt, Jungs zu sagen, gefolgt von einer energischen Bewegung um die Jungs wissen zu lassen, die Stunde ihrer Bewährung habe geschlagen.

Es geht um nichts weniger als um den Beweis, dass man bereit ist, für eine stets zur Schau getragene Überheblichkeit zu bezahlen, zu bluten auch, um dadurch zu beweisen, dass der zuvor geforderte Aufmerksamkeitstribut keine himmelschreiende Ungerechtigkeit oder Anmaßung war.

Männliches Selbstwertgefühl wird an dieser Quelle bezogen, wo sich die Jungs einig werden, was gut oder schlechte Aufführung sei.

Der Witz, der die Hierarchien des Patriarchats in Stimmung hält, wird gelacht oder einfach nur angewandt von einer als Jungs über alle Zeiten und Gegebenheiten hinweg verschworenen Bande.

Es liegt an den Jungs, die glauben, dass sie Männer sind, wenn sie es verstehen, ein Ding so im Griff zu haben, dass sich nichts mehr daraus bewegt.

Bester Erfolg also, es totzumachen.

Rücksichtslos insbesondere gegenüber dem Risiko, dabei selbst umzukommen.

Das Risiko wird in Kauf genommen mit einem die Realitäten überschleunigenden Witz, der darauf spekuliert, dass hinterher, nachdem der emotionale Schund überwunden ist, eine satte Belohnung und die best mögliche Stimmung aller Zeiten winke.

Rücksichtslos zu ramassieren und sich gegen der Gattung guter Sitten oder Witze in Szene zu setzen, die Welt der Auflösung und ihre Stimmung aufmischen, kaputtmachen, töten, verdrängen, unterjochen, versklaven, bestimmen zu wollen und im Schritt dieses Könnens sich dabei bedeutungsvoll vorkommen - darin gipfelt so in etwa der kulturelle Beitrag, auf den die Jungs ihren Erfolg ausrichten.

Die Frage stellt sich: Ist das die Folge einer genetischen Fehlleistung, oder, wurde dieser Stimmungsschaden erst möglich, nachdem man mit eigenen Augen sich davon überzeugen konnte, dass ihn der Teil in dieser Welt, der in Führung ist, für keinen hält.

"Man sagt, dass die Erinnerung im allgemeinen nicht länger zurückgreift als bis ins dritte Lebensjahr. Zu den Hervorhebungen aus dem inneren Raum gehören Bilder von Gräsern und Gänseblümchen in Großformat und der Geruch von Erde. Ich muss mich wohl als Dreijähriger noch ziemlich viel auf Knien, in Bodennähe bewegt haben. Da ist noch eine Erinnerung voller Schrecken und Kummer. Ich hatte mich unter einen Baum ins Gras plumpsen lassen. Dabei muss ich einen aus dem Nest gefallenen Spatz unter den Hintern bekommen haben. Als ich den Piepmatz, noch feder- und schon leblos, mit dem schlaff baumelnden Köpfchen in der Hand hielt, packte mich das blanke Entsetzen. Was hatte ich getan? Ich begann jämmerlich zu heulen. Die Kinder konnten mich nicht beruhigen. Sie lieferten mich tränen- und rotzverschmiert bei Oma Graap ab. "He glöwt, he häddn Vougel doodmoukt." Auch die Großmutter konnte mir nicht helfen. Ich brauchte, wie mir später erzählte, zwei Tage, um die Mörder-Pein zu verwinden."

Die sich in ein gemeinsames Schicksal Teilenden sind in die Kategorie Volk aufgerückt mit den Kriege, in denen es um nichts anderes ging, als sich gegenseitig Aufmerksamkeitswerte in konzentrierter Form, kurz Beute, abzujagen und Sklaven einzufangen.

Die dadurch tangierte, gemeinsam verübte Stimmung - von ihr geht die Stimmung der Gegenwart aus, und einsehbar wird ein Ringen, in dem alle versuchen, die eine Stimmung haben, den eingetretenen Schaden wieder aufzuheben ...

Wenn das Volk etwas will, dann will es sich in diesem Bad der Vergangenheit erfrischen, als sei das ein Gang zum Jungbrunnen.

Aus dem Buben soll mal ein richtiger Mann werden, sagt das Volk, ohne jedoch genau angeben zu wollen, worauf es dabei tatsächlich ankommt, aber es tätschelt ihm die Wange dazu.

Dass ein Junge sich wegen eines toten Piepmatzes nicht zwei Tage lang die Hosen voll machen sollte, gibt nur ungefähr die Richtung an.

Die Angelegenheit, Mann zu sein, habe etwas mit Heruntermachen zu tun, das lässt sich in Erfahrung bringen in jeder Begebenheit in der die Geschlechter sich ein Stelldichein geben.

Nur keine Schwäche zeigen. Eine einmal eingenommene Stellung nur unter übermächtigem Druck aufgeben. Das sind noch freundlich gemeinte Hinweise, die ein Junge zu seiner Orientierung als Teilnehmer seines Geschlechts aufnimmt.

Die Ordnung der Dinge, die ihnen die Großen vorleben, spricht zu den Jungens, dass sie nicht hier sind „um ein paar Bettnässern die Brust zu geben.“

Der drohende Verlust des Ansehens vor dem Versagen des völkischen Anspruchs hat existentielle Konsequenzen.

Die Hierarchie der kriegerischen Haufen siedelt die Aufmerksamkeitsansprüche eines Versager vor den fremden Herren dann bei den Essensresten an.

Vor dieser real existierenden Abstiegschance, sich beim Zuschlagen lächerlich zu machen, muss ein so aufgezogenes Subjekt mehr Angst verspüren als vor allen andern Gefahren.

Aus diesem völkischen Betrieb gehen die Jungs in Scharen hervor.  

Die Angst vor einem Abstieg, einer Blamage, lässt sich in Erfahrung bringen, wenn richtige Männer vor Ort unterwegs sind, für ihre Nöte ein Aufmerksamkeitsgefäß aufzutreiben, und sich dabei vor nichts so sehr fürchten, als sich eine Blamage wegen unmännlichen Verhaltens zu machen.

Was meinen die Jungs dazu. Wie stehe ich jetzt da vor ihnen.

Die Frage, was meinen die andern wird reduziert auf das Quorum der Jungs, die nicht darauf spezialisiert sind, Freude zu bereiten. 

Diese Angst in der Rangordnung des Tötenkönnens abzusteigen, in der Rangordnung, in der man gewissermaßen zu hause ist, ist real, so real und handgreiflich wie die Jungs sind und wird vermittelt durch die in jeder Rangordnung übliche Strafe: Abzug an Aufmerksamkeit.

Ihr gegenüber bleibt die Totaldegradierung durch den Tod ein abstraktes Ereignis.

Eine „generell finstere Einstellung, was nach einem Weiber-Arsch aussieht", zu pflegen, ist ein anstrengende Fortbewegungsweise.

Sie bedeutet in der Konsequenz das Ende einer Entwicklung als Mensch und die Führung eines Lebens als Dressurakt gegen die Auflösungsversuchungen einer Stimmung, die nach erfüllenderen Lösungen strebt.

„Each men were preparing himself mentally to do this job!” Nun ist es nicht mehr schwierig, heraus zu finden welchen.

An diesem Job hängt eine auflösungzarte, junge Seele sich auf um auf dem Parkett völkischer Traditionen und Ansehens nicht als unbrauchbar abgehandelt zu werden.

Der Werdegang des Menschen zum Mann, der das naturwidrige Gesetz zum Einsturz bringt, was mit der Empfindung des Tötens daherkommt, ist ein Reduktionsverfahren und kein Wachstumsprozess.

 

"...; und als eine schwedische Eskadron auf die Unserige traf, waren wir sowohl als die Fechtenden selbst in Todesgefahr, dann in einem augenblick floge die Luft so häufig voller singenden Kugeln über uns her, daß es das Ansehen hatte, als ob die Salve uns zu Gefallen gegeben worden wäre; darvor duckten sich die Forchtsame, als ob sie sich in sich selbst hätten verbergen wollen; diejenigen aber, so Courage hatten und mehr bei dergleichen Scherz gewesen, ließen solche ohnverblichen über sich hinstreichen; ... "

Ein paar hundert Jahre später, nachdem diese Sicht auf die Dinge aufgeschrieben wurde, sind dergleichen Scherze zwar immer noch Scherz, aber bereits etwas abgedroschen klingen sie in der gerade beginnenden Literaturproduktion.

„Sie sollen sich sonst kein Gewissen machen, jemand mit dem Messer, oder mit dem Gewehrlauf oder geradewegs mit dem Knittel in eine andere Welt zu liefern. Die Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten nicht weiter.“

Und weiter in diesem Text: „Die Herren sind in der Revolution etwas dezimiert worden.“

Dass man nicht jeden einzelnen nach der Gerechtigkeit seines Schicksals, seiner Wunden, seinem Tod befragen und abhaken kann, sondern ihre Sache in Dezimalschritten aufgibt, ist der gesellschaftlichen Praxis oder der Notwendigkeit, mit dem Tod von Maßen fertig zu werden.

Humor im Krieg, hundert Jahre später, jetzt als Geheimwaffe:

„Im Laufe der vier Kriegsjahre entstand bei uns Frontkämpfern eine Soldatensprache, die oft mitten im bittersten Ernst von köstlichem Humor sprudelte. Einen Soldaten ohne Humor gab’s wohl gar nicht. Je beschwerlicher der Dienst draußen im Feld, im Ruhelager, im Rekrutendepot, auf dem Flugplatz, im Lazarett war, desto mehr Witzwörter entstanden im Kameradenkreise. Keiner nahm’s dem andern krumm, fühlte sich sozusagen in seiner Ehre gekränkt, wenn eine ‚Anpflaumung’ nach der anderen erfolgte. Man schmunzelte nur verständnismäßig und lachte – ehrlich aus tiefstem Herzen, je nach der ‚Qualität’ des erzählten Witzes. Mit dem deutschen Soldatenhumor hatten aber unsere Feinde, die weißen und die schwarzen aller Herren Länder, nicht gerechnet. Der Humor war es, der die Kameraden untereinander wach hielt. In der Heimat schien es unzähligen Daheimgebliebenen, den ‚Unabkömmlichen’, den ‚Auchdrückebergern’ unfasslich, dass die da draußen an den Fronten die Soldaten noch immer ‚aushielten’. Der Humor war es, der zum großen Teil dazu beitrug, die Fronten zusammenzuhalten.“

Ein Junge quält sich früh damit, dass sein Leben in einer solchen Scherzerade enden könnte.

„Ich dachte an den Kosakensäbel, wachend, schlafend, tagelang, wochenlang, ja monatelang… “ schreibt Kügelgen in seinen Jugenderinnerungen, weil ihm ein echter Säbel als Geschenk versprochen worden war.

Jeder richtige Junge fiebert sich in diese aberwitzige Bewährungsprobe hinein zu den ihn der Tod auf dem Spannteppich der Ehre heraus fordert und wird versuchen, im Begehen von gesellschaftlich schickem Horror nicht schlechter als seine Vorbilder abzuschneiden. 

„Der Tod an der Mauer, vor den Gewehren gedungener Landsleute, das war indessen etwas anderes. Das wusste ich, denn auch diesen Tod hatte ich oft, öfter sogar als den im Felde, erlebt – erlebt in der Welt meiner Vorstellung. Ich habe die Gewohnheit (vielleicht hat jeder Mensch sie), mir mein Verhalten in kritischen Lebenslagen in allen möglichen Varianten auszudenken, als Bühnenprobe gewißermassen, damit ich im Ernstfall nicht überrumpelt werde und der Prüfung gewachsen sei.“

Das Traumatische an dieser irrwitzigen Bewährungssituation von Scherzen über der Kante des guten Geschmacks plagt sowohl den Jungen als auch den Mann und zwar mehr, als wie sich das jeder eingesteht.

Das Trauma als Krankengut, das Kriege erzeugen und hinterlassen, ist erst ein Thema des späten zwanzigsten Jahrhunderts.

Von diesem Trauma aber leitet sich die mentale Problematik einer jeden bisherigen Gesellschaft ab, die es "zu etwas" gebracht hat auf diesem Schleuderkurs gegen den guten Ton der Auflösung.

Selbst Bornemann geht in seinem ansonst recht schonungslosen Werk über das Patriarchat und seiner moralischen Verwerflichkeit schweigend über dieses Trauma hinweg.

Auch für ihn bilden die grausamen Frequenzen auf den Schlachtfeldern keinen Anstoß, um darüber nachzudenken, wie diese Erfahrungen Einfluss nehmen auf die Problematik unseres gegenwärtigen Verhaltens.

Ein Mann steht nicht vor dieser Frage, sondern davor, sich mit dieser zu plagen, ob er dieser Aufgabe gewachsen sei.

„Kaum wüsste ich, dass mir damals etwas in der Welt mehr Vergnügen gemacht hätte als die Ausrüstung dieser Papierarmee und das Spiel damit. Wir brachten es nach und nach ein jeder auf die ungeheure Zahl von achthundert bis tausend Mann, für deren Aufstellung wir Risse und Spezialkarten mit Kreide auf die Diele zeichneten. Wer nach zehn Schüssen die meisten Leichen hatte, verlor an seinen Grenzen, und stündlich veränderte sich die Landkarte in unserem Zimmer, wie draußen in der weiten Welt. “

Eine professionelle Ausbildung zum Mörder erhält ein Mann üblicherweise beim Militär.

In dieser nachpräparierten Vorpubertät wird der zur Kriegsführung notwendig werdende Regression kollektiv inszeniert.

Das Individuum, das in die Militärlaufbahn tritt, erfährt eine Zuwendung wie ein kleines, dummes Kind, das praktisch keine Rechte mehr über sich hat, im Zuschnitt der Rangordnung mit jenem vergleichbar.

Die eingezogenen Rekruten werden gepackt bei dieser Stimmung, die ihnen damals doch soviel Spaß gemacht hat.

Eine Baisse der Moral wird angeleiert. Das Pausenhofpogramm der Kämpfe zwischen Jungs wird wieder aufgenommen und auf höherem Niveau fortgesetzt, berücksichtigt man das Alter.

Da die Jungs für ihre Vormänner, ihre Offiziere, die Drecksarbeit machen, erlangen diese dadurch ungewollt einen femininen Anstrich.

Sie kommt zum Ausdruck in einer Art von Hysterie oder Gereiztheit, die handkehrum nützlich ist, den Jungs den Weg in ihr Schicksal zu erleichtern.

Aus der Sicht der Offiziere nun aber sind ihre Jungs sozusagen das Mädel für alles, so dass sich hier sowohl eine mehrfaches cross-gender ergibt als auch eine relativ simple Erklärung, weshalb diesen Mädchen nichts Unangenehmer ist, als in der Tiefe dieses Empfindens bloßgestellt zu werden: Für meinen Offizier ziehe ich selbst mein Leben aus.

 

Das Verlangen, dem andern am liebsten eins in die Fresse zu hauen um den sehnlichst erwünschten Beweis herbei zu zwingen, ist keines, das Männer voneinander abstößt.

Das Gegenteil ist der Fall. Diese Nöte sind das verbindende Element, einen gewöhnlichen Haufen in einen Haufen von strammen Jungs zu verwandeln.

Das unablässige Zicken mit gewalttätigen Launen und kleinen Lösungen in Showgefechten bestärkt die Jungs in dieser Stimmung und hält diese am Leben.

Ein funktionstüchtiges Etwas übrig lassend, das, wenn es nicht mindestens in jedem dritten Satz sein Gegenüber beleidigt, von einem Gefühl der Unvollkommenheit überwältigt wird.

Er ist Ritter, Räuber, Pirat, Indianer, und rattert mit seinem Schießprügel alle tot. Er sagt: ich stecke dir ein Messer in die Brust und sticht dreimal mit dem Löffel zu.

Das werdende Ungeheuer gewinnt in diesen Spielen seine wichtigsten Erkenntnisse. Wer liegt auf dem Rücken und jappst nach Worten, wer drückt ihn zu Boden.

"Das kostbare Wissen von Körper zu Körper" erfahren wir in der Position über dem andern oder unter ihm, genau genommen ist es unser Rang, der ausgemacht wird in diesem Spiel.

Die Jungs inszenieren und reanimieren im Kollektiv den Gang der Menschheitsgeschichte.

Die Sozialisation des Dreijährigen, der sich noch scheut, zum erwachsenen Menschen, der nur finanzielle Hindernisse kennt: da musst du durch.

Von der Rasselbande zu den dummen Jungs in der Vorstandsetagen führt ein gerader Weg durch die Zeit.

Nicht die Spielzeuge, die Spiele richten ernsthaften Schaden an, wenn man es denn als Schaden empfindet, dass der nachwachsende Teil der Menschheit sein zerbrechliches Innenleben an die Gegebenheiten eines Gemetzels konditioniert.

Der Aufschrei der Mütter gegen den Krieg wird in Ehren gehandelt, das gehört sich so. Schließlich liefern sie das zum Töten wertvollste Rohmaterial.

Dass eine Mutter dies nicht so sehen möchte, braucht keine lange Erörterung. Die Kinder sollen ihr aber auch keine Schande machen. Nicht als Frau, nicht als Mann, nicht als Soldat, gleichgültig, ob sie es je werden oder nicht.

Eine Frau hat so zu sein und ein Mann so und so anders und diese Eigenschaften werden nirgendwo sonst als in ihrer Funktion für den Krieg definiert.

Volk und Krieg gehören zusammen sowie Magen und Fresswerkzeuge.

Instinktiv begreifen alle Völkischen diesen Zusammenhang. Die Mütter machen da keine Ausnahme. Ihr Aufschrei ist moralische Dekoration. Das Heimtückische an der Angelegenheit ist, dass sie ihre Jungs in den Krieg treiben, nicht mit Worten, sondern eher durch das Tragen von Nylonstümpfen.

 

Die Zitate stammen von Badinter, Band of Brothers, Eastwood, Grimmelshausen, Kügelgen, Schabowski, Seume sowie dem deutschen Soldatenkalender von 1936.