Moral

Obwohl Moral aus demselben Holz geschnitzt ist wie die Stimmung, herrscht hier seitens der Naturwissenschaft freimütig ausgeübter Aufklärungsverzicht.

Während es der ersten Abteilung der Aufklärung inzwischen immerhin gelingt, Stimmungsaktivitäten bündig auf einem Flachbildschirm als bunte Rauchspur nachzuweisen, bleibt das substantiell verwandte Phänomen Moral gerne jenen Anfängern zum bejagen überlassen, die sich ohne GPS und Mikroskop auf die Suche nach der Rauchspur ihrer Wahrheit wagen.

Verstanden wird unter dem Begriff Moral gewöhnlich eine Latte von Grundsätzen, wie mensch gewünscht wird, dass er sich in dieser oder jener Situation verhalte.

Dass diese Grundsätze etwas mit Stimmung zu tun haben, wir beiläufig zur Kenntnis genommen, weil der Zusammenhang zu selbstverständlich ausfällt und damit der Beobachtung entgeht.

Allgemeinst formuliert erscheint der Zusammenhang als: zum Wohle des Volkes oder des Herrn oder der Stimmung, die gerade herrscht.

Im ironischen Zusammenhang wird mit Moral auch der Zustand einer Einzelperson angesprochen. Und da liegt die Verbindung von Stimmung und Moral in der Hand.

Moral ist wie die Stimmung ein Zustand, und kann verstanden werden als Plural von Stimmung oder als die gemeinsam verübte begangene und verlebte Stimmung.

Als Zustand ist Moral immer präsent, definitorisch dann, sobald mindestens zwei Stimmungsadepten zusammen eine Geschichte, eine Auflösungsgeschichte begründen.

Was immer auch diese tun, sie sind sowohl machtlos dagegen, dass ihre Stimmung zusammen fällt oder sich erhebt, noch das Ergebnis vom Standpunkt des Subjekts aus alleine zu bestimmen, solange, wie es als Stimmung herrscht.

Das Letztere ist zwar heiß begehrt, und es wird sozusagen an nichts anderem gearbeitet und unsere Kultur diesbezüglich auf die Höhe gebracht, als gerade dieses Hindernis zu bezwingen, das droht, dem patriarchalischen Bestimmungswahn ein Ende zu setzen. Um der Wahrheit seiner Auflösung zuvor zu kommen, die keine gute Stimmung macht.

Den ganzen Ablauf der Auflösung, auch Schöpfung genannt, lückenlos bestimmen zu können. Nicht nur, wie das Auflösen vor sich zu gehen habe, sondern auch das Resultat in der Stimmung zu manipulieren insbesondere dann, wenn es absehbar ungünstig auszufallen droht.

Als würde versucht, das Ende  des Patriarchats auf diese Weise zu strecken.

So wie Stimmung "gemacht" oder beeinflusst werden kann, kann auch Moral beeinflusst werden, um eine falsche Auflösungsweise wie eine richtige hinzustellen.

Das Bemühen ist nicht fakultativ.

So wie die Stimmung ihr Auflösungsziel kennen muss, was nicht gleichbedeutend ist, dass auch derjenige oder diejenige die auflöst es kennen muss, so muss auch die Moral ihr Verdauungsziel haben, das bezogen ist auf den Gattungswitz, die Ursache oder die Bedingungen, weswegen eine Gattung zur Auflösung heran gezogen wurde oder in ihre Aufgabe hinein gewachsen ist.

Der moralische Sinn, der keine optionale Zugabe ist, sondern die Koordination der Gattung garantiert, muss angesprochen sein, wenn es darum geht, etwas gemeinsam in Stimmung zu versetzen.

Erwartet wird naturgemäß gute Stimmung als Beweis davon, dass auch das gemeinsame Werk eine geglückte Auflösung sei. Diesen Befund kann man nun nicht sich selbst überlassen, wenn man erfolgreich sein will im Geschäft, aus schlechter Stimmung Geld zu pressen.

Die falschen Untertöne in diesem Vorhaben, kommen aber mit auf die Spur und sind nicht auszulöschen, jedenfalls nicht auf der Ebene des unmittelbaren Stimmungsabgleichs von zwei oder mehreren Adepten. 

Jede Regung oder Äußerung in dem Zusammenspiel von Stimmungen stellt sich vor als Element, die gemeinsam erlebte Stimmung auszudrücken und damit zu beeinflussen.

Diese Plattform-Unabhängigkeit der Moral macht es schwierig, den Sitz der gemeinsam verübten Stimmung zu lokalisieren an einem Ort, wo ihr apgepasst werden könnte.

Jede Regung ist zugleich Information für diesen Zustand, indem gemeinsam aufgelöst wird und weist aus, wie aufgelöst wird, sowie jeder Ton sich einmischt, der gehört wird.

Das Verdauungsziel, Teleologie oder auch Theologie der Moral ist, dass sich die Gattung gut auflöse. Unsere Geschichte ließe sich über diese Frage brechen, wie gut dies jeweils gelang.

Der Raum der Auflösung, in dem die Einzelperson sitzt wird durch den Umschluss mit ebenso empfindenden, gleichartig zur Auflösung Begabter gewöhnlich als ausgeweitet empfunden, auch wenn es darum geht, den gemeinsam mit Stimmung beheizten Raum für einzelne drastisch einzuengen.

Mehr Menschen, mehr Erweise von jenseitiger Auflösungslust und diesseitigen Angeboten hierfür. Dem Zusammenkommen wird eine berauschende Wirkung zugeschrieben.

Die Palette des moralischen Ausdrucks einer Menge kann nicht über das hinaus gehen, was bezüglich Stimmungsausdruck im Repertoire der Einzelperson nachvollziehbar ist.

Über den Höhepunkt eines Orgasmus kann auch die gemeinsam verübte Stimmung nicht hinaus gelangen, inklusive dem Kater oder dem Tief nach unten, dass sich einstellt bei der Erkenntnis, das falsche Objekt aufgelöst zu haben.

Je nachdem, wie es einem moralisch aufeinander agierenden Personenkreis gelingt, sein Stimmungsproblem auszutarieren, hängt dessen Moral tief oder hoch.

Im Rangordnungsbezug gilt als verbindlich die Stimmung desjenigen, der die Aufmerksamkeit aller findet. Die führende Stimmung.

Die zur Stimmung von allen erhobene Stimmung kann sich nicht dem Verfahren entziehen, zu performieren so, wie aufgelöst wird, sowenig die dieser Stimmung Verbundenen ohne deren Witz auflösen können.

Es würde bedeuten, austreten aus der gemeinsamen Geschichte.

Die Moral also gibt Auskunft nicht nur auf die Frage: und wie löst ihr auf, oder, wie seid ihr drauf, sondern ist auch das verbindende Protokoll der gemeinsamen Geschichte.