Wir-Wissenschaft

 

Uns geht es gut.

 

 

Etwas, das ich bislang nur indirekt Bezug genommen habe, nämlich, das Recht des Stärkeren und die damit verschweißten Sitten unter Brüdern, stellt sich nun als eigens zu würdigender Sachverhalt vor.

Dies nicht, weil er die Lückenhaftigkeit der bereis einsehbaren Darstellung kompakter präsentieren könnte, sondern wegen den Debatten, die jetzt um das Schicksal all derjenigen geführt werden, die das ihrige vom Geld abhängig sehen.

Vergebens blieb der Versuch, darauf aufmerksam zu machen, dass wer wir sagt, immer nur das Beste von sich selbst meinen kann, will er denn verstanden werden.

Beispielsatz. Wir leben über unsern Verhältnissen. Der Satz ist nur richtig oder angenehm, wenn er auch für die Person stimmt, und zwar treffend, die das Wir im Schilde führt.

Weitere Bedingungen sind leider keine gestellt. Etwa die, erst nachzuprüfen, ob es tatsächlich all denjenigen, die in den Wir-Zustand erhoben sind, dem Anspruch auch folgen können.

Wenn sich nun, könnte man meinen, alles Soziale zwischen den Teilnehmern, und nicht etwa oberhalb von ihnen nur abspielen kann, wenigstens mal angenommen, dann ist jede Wir-Aussage etwa so zutreffend wie der Satz: Wir haben gewöhnlich braune Haare, als Argument auf eine Lohnerhöhung.

Anders gesprochen, wer sich auf einen sozialen Gegenstand bezieht, und das Pronomen wir als Subjekt dazu nötigt, nie tiefer, als wie zur Verpackung vorzudringen, kann nur im Sinn haben, über das Wetter mit uns zu reden oder ganz allgemeine Ansage, nicht aber über die Geschichten, die wir z w i s c h e n uns auszutragen haben.

Nicht als eine Geschichte zwischen Kaiser und Volk.

Wir müssen sparen. Und tatsächlich können wir Spuren von Bemühen nachweisen, das Unlogische der Aussage in diesem Sinne zu glätten, so dass es dem wir Gehalt zugute kommt.

Alle müssen sparen. Die Bilder.

Bilder, die zeigen, was man sich heute alles ersparen kann, um vor eine Kamera zu treten, um wir zu denen zu sagen, mit einer einfühlsamen Miene, so wie es die Schwester dem Patienten sagt und andeutet, bevor sie zusticht. 

Auf den Begriff der Nation, die als letzt funktionierender Bezug einer Wir-Einheit den Heurigen noch immer im Gedächtnis haftet, kann sich der wir zu den andern Sprechende beziehen, als Entschuldigung dafür, es in der Schule nicht anders gelernt zu haben.

Wir finden eine Lösung, sagt die Katze zur Maus.

 

Wenn ich davon ausgehe, das Patriarchat laufe demnächst auf und der Zustand sei sich noch nicht ganz im klaren darüber, wen alles ins verheißene Jenseits ziehen, dann beziehe ich mich auf den hier maßgebenden, hierarchiebildenden Witz, allen Tost dem Recht des Stärkeren zuzusprechen.

Das Recht des Stärkeren aber lässt keinen Wir-Zutand zu.

Das Recht des Stärkeren zu exekutieren, - mit einer Waffe oder Geld spielt im Ablauf der Sinne etwa dieselbe Rolle -, führt gewöhnlich zu einem Verhältnis, das möglich wird zu etablieren unter Zuhilfenahme eines Stimmungsschaden, der nicht selten als schäbiges Lächeln auf sich verweist.

Den Eindruck hinterlassend, als ginge es zuerst einmal um mich, also hier um diejenige Person, die das Recht des Stärkeren zum Anschlag bringt und erst dann um die Schuld, die wegen der Erregung eines öffentlichen Ärgernisses entsteht.

Es wurde immer wieder versucht, diesem moralisch destabilisierenden Effekt hinterherzulaufen, in der Weise, als sei das Rote Kreuz ein vollwertiger Ersatz für den Rest an Stimmung, wenn das Recht des Stärkeren zum Zuge gekommen ist.

Man neigt, in solchem Zusammenhang sozial verwurzelt leicht zu der Fehlannahme, das Recht des Stärkeren sei nur gültig gegen Feinde und werde auch nur gegen solche eingesetzt.

Zu Feinden aber werden nun alle, die die Schuld auf sich genommen haben, das Recht des Stärkeren zu ertragen.

Beim Geld, wo sich die Nächsten gegenseitig mit Beträgen runtermucksen, wird das Recht des Stärkeren zwar für wahr genommen aber nicht wahrgenommen, weil es ohne Fahne, Muskel, Waffen etc. vor sich geht.

Die Schuldübernahme sich eher in stillschweigendem Einverständnis vollzieht. Das Verständnis für die entehrenden Macken lohnt die Illusion, es einst auch mal soweit zu bringen. Es wollen ja alle reich werden.

Aber es ist immer noch das alte Recht die Entscheidungsgrundlage, das Recht, so viel von den andern zu nehmen wie man stark dazu ist.

Und zwar durchgehend internationales Recht, ohne gültige Papiere jede Grenze, ohne ordentliche Leiter jede Mauer, sowie jeden Türspalt wie nicht gesehen überwindend.

 

Wir sind das Recht des Stärkeren. So gesagt. Ende der Vorstellung, könnte man meinen.

Aber es kommt noch besser: Wir sind der Souverän.

Am zutreffendsten aber erscheint mir doch die zu sein: Wir sind alle Brüder. Alle von derselben Sorte. Das Recht des Stärkeren als Schöpfungsgeschichte, nicht als Stein des Anstoßes auslegend.

Wir haben Schulden abzutragen. Auch ein Wir-Satz zur täglichen Abnutzung dessen, wer mit wir noch gemeint sei.

Das Recht des Stärkeren ist zwar ein wichtiger Bestandteil in diesem Satz noch, denn ohne die Position nicht im mindesten zu vermuten, wüsste man nicht wohin mit den Schulden, aber fehlt im Wir ganz und damit fällt auch der einsehbare Bezug.

Die Rangordnung rückt erst dann vollständig ins Bild, wenn kritisch der Frage nachgegangen wird, zu welcher Sicht auf die Würde einer Population das Recht des Stärkeren beim Wahrnehmen von Schuldenabbauen unter Brüdern verhilft.

Das Original, der oberste, hier Schuldenabbauer komme vermutlich erst vor dem letzten Gang, und da nur per Zufall auf den glücklichen Gedanken, vom Ernst der Dinge zu sprechen, - dieser Service für das, was in der Schwäche hängen bleibt, wird von den Nachahmenden nur selten getroffen, die rangtiefer in dieser Patsche des seelischen Erlebens vor ihm sitzen und sich stärken für den Gang danach.

Besser verständlich vielleicht: Von Rang Null zu Rang Eins ist ein Schuldverhältnis zwar denkbar, aber uninteressant als Beute sind, Schulden also erst zwischen Rang Eins und Zwei möglich oder sinnvoll werden.

Von Rang Eins nach Rang Zwei können Schulden angehäuft, aber nicht abgebaut werden, wenn das, was die Schuld möglich macht, durch das Recht des Stärkeren bedingt wird.

Das Problem sei das Problem, sagt man gewöhnlich dazu.

Das Recht des Stärkeren könnte man abbauen. Theoretisch.

Überall da, wo das Recht des Stärkeren siegt, sind ihre Anhänger, hier durchs Band Brüder genannt, optisch daran zu erkennen, wie ihr Gefolge lampt, was sich nicht immer auch auf die Ausstattung bezieht.

Das Recht des Stärkeren drückt auf das Recht des Stärkeren drückt auf das Recht des Stärkeren und so weiter immer schön dem Rang der Schwäche hinunter, bis Gegendruck, gewöhnlich durch eine feste Mauer oder Boden erfolgt.

Hinter allen Fähnchen, die Wir-Berauschte ihrem Wir-Zustand stecken findet sich eine Mehrzahl Ent-wir-te, die wegen der pronominalen Fehldeutung nicht selten ihr Leben aushauchen.

Um die sich dann kein Schwanz kümmert.

So wie man das aus dem Blick auf das Schlachtfeld nicht anders aus gewohnt ist.

Keine Panne. Das ist das viel gelobte Risiko, das mit der Inanspruchnahme des Recht des Stärkeren inklusive ist, die Heeresordnung.

Mitten auf der Straße bleiben welche Liegen. Der Gefechtslärm stürmt über sie hinweg.

Man kann nicht straflos denjenigen unter den Brüdern zuarbeiten, die schon alles haben ohne den Boden zu verlieren, wenn es ums Ganze geht.

Es geht nicht, das Recht des Stärkeren wegzubedingen, es sei denn, man habe das Recht dazu.

Wenn man aber sagt, wir haben ein mieses Verhältnis zwischen Oben und Unten, was nichts anderes ist als das Verhältnis zwischen dem Recht des Stärkeren und dem Recht des Schwächeren, dann würde ich meinen, dass in einer Rangordnung, die nach dem Rang des Stärkeren die Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit bemisst, der Standpunkt einer so sprechenden Person nicht eigentlich vorgesehen ist.

Was nicht gleich bedeutet, als dass er nicht einzunehmen wäre. Irgendwo auf einer Medienseite von seichter Wir-Politik, seichter Uns-Wirtschaft, Wissenschaft, die unter Druck auch wir wird, sowie ernst gemeinter Unterhaltung.

Alles dürfen wir lösen, nur unsere Probleme nicht.

Das verbietet allein der Satz: Im Vergleich zu andern Ländern stehen wir immer noch beneidenswert gut da.